Marsch durch den Regelwald

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Glaubt man zahlreichen einschlägigen Szenenforen, so ist DSA das meist verhasste Rollenspiel. Nun das mag leicht übertrieben klingen, aber DSA und die Welt Aventurien sind des öfteren Ziel von Anfeindungen und Bashing-Threads. Daran gewöhnt man sich, doch dann fragt man sich, weshalb denn DSA ein solch prädestiniertes Ziel dafür ist?

“2000 Seiten? Du glaubst doch nicht etwa, dass ich das lese…”

Ein grosser, wenn nicht sogar der grösste, Kritikpunkt bei DSA ist eindeutig das Regelwerk. Umständlich, viel zu umfangreich, kompliziert, überflüssig, viel zu verregelt. Oft wird irgendwann als Vergleich herbei gezogen, dass man bei DSA sogar geregelt habe, wann ein Ork aufs Klo müsse. Tatsächlich ist der Seitenumfang der Regelbücher massiv (alles in allem knapp 2000 Seiten). Von irgendwelchen Spezialregeln in Regionalbänden ganz zu schweigen. Nun ich will hier DSA nicht verteidigen oder rechtfertigen. Dies ist weder nötig, noch meine Aufgabe, sondern ich möchte lieber diskutieren, wie viele Regeln einem System gut tun, wie viele denn überhaupt nötig sind. Dazu muss erst einmal Sinn und Zweck von Regeln gefunden werden. Grundsätzlich basiert die Motivation für Regeln im Rollenspielsystem darin, etwas zu leiten und zu lenken, sprich zu begrenzen. Ein System ohne Regeln funktioniert wohl nur in den seltensten Fällen und wenn, dann nicht über längere Zeit und es wäre nicht massentauglich (mal ganz abgesehen davon, dass dann keine Regelbücher verkauft werden könnten und es so marktwirtschaftlich nicht geschickt wäre).

Gleich lange Spiesse

Das Problem ist, dass die Freiheit der Spieler neben dem Plot (siehe Beitrag “Das grösst mögliche Mass an Freiheit“), auch von Regeln, die über den Plot hinausgehen, beschränkt werden muss. An sich ist es eine Einigung unter den Mitspielern und dem Meister, die Freiheit auf beiden Seiten einzuschränken und so auf der gleichen Ebene zu agieren. Extrembeispiel:

Der Plot sieht es vor, dass der Bösewicht flieht und die Helden ihn verfolgen. Der Bösewicht flieht über die Brücke und kappt die Seile. Da ruft ein Spieler: “Mein Held spannt seine Flügel aus und fliegt über die Schlucht.”

Und vorbei ist es mit dem Plot. Auch wenn ein freies Rollenspiel praktiziert wird, einigt sich die Gruppe auf bestimmte Standards. Ansonsten liegen sich die meisten bald in den Haaren. Grundsätzlich bieten Regeln sowohl für die Spieler gegenüber dem Meister, untereinander aber auch für den Meister selbst gewisse Sicherheiten. Der Meister kann etwa abschätzen, was die Helden in welcher Situation tun können und was nicht. Zudem hat er die Mittel in der Hand um Spannung zu erzeugen. Die Spieler haben eine gewisse Sicherheit, dass der Meister sich an die gleichen Prinzipien halten muss, wie sie selbst. Untereinander ist der Wettkampf unter den Spielern nur innerhalb der Regeln möglich. Ein begrenztes Spielfeld, wo jeder seinen Sandkasten hat. Alles in allem sind Regeln die einzig vernünftige Basis für ein kooperatives Rollenspiel.

Atmosphärekiller

Gleichzeitig beschränken Regeln natürlich auch die Freiheit der Spieler, auch im engeren Masse und das hat normalerweise einen schlechten Beigeschmack. Damit können die meisten Spieler jedoch leben. Es ist eine Frage der gemeinsamen Einigung. Doch viel wichtiger ist die Frage der Spielbarkeit. Wenn vor jeder Aktion fünf Minuten über die Regeln diskutiert werden muss, ist das der Tod jeder Atmosphäre. Wenn der Magier nebenbei im Zauberbuch blättert ist dies ja noch verzeihbar. Wenn der Troll jedoch dauernd über irgendwelche Modifaktionen bei Kampfmanövern brütet, bringt er damit so manchen Meister zur Weissglut. Grundsätzlich kann man sich wohl darauf einigen, dass Regeln vor und nach der Spielsitzung zur Diskussion stehen, während dem Spiel jedoch nur angwendet werden. Folgender Grundsatz hat sich bewährt (auch wenn er nicht konsequent angwendet wird):

“Keine Regeldiskussionen während des Spiels. Der Meister hat immer Recht. Nach der Spielsitzung kann er dann standesrechtlich erschossen werden.”

So oder ähnlich kann man Regeldiskussionen jedenfalls vermeiden. Kurze Debatten wird es trotzdem geben, doch die sind normalerweise auch nicht störend. Das setzt jedoch eine hohe Regelkenntnis des Spielers voraus, denn sonst verärgert er nur unnötig die Spieler. Ansonsten gibt es noch Möglichkeiten, die Person als “Regeladvokat” zu benennen, die die Regeln am besten kennt und dieser funktioniert dann als Schiedsrichter.

Abbild der Wirklichkeit

Die oben genannten Nachteile führen zu der Ansicht, dass Regeln von den meisten Spielern als notwendiges Übel angesehen werden. Je weniger desto besser. Ich selbst ticke da etwas anders, kommt wahrscheinlich auch von meiner Vorliebe für mathematische Gebilde und ähnlichem. Aber ich finde es faszinierend, wie Regeln versuchen die Wirklichkeit abzubilden. Letzteres ist nämlich die zweite wichtige Funktion von Regeln: Sie erschaffen ein Abbild der Realität, wie sie in der Spielwelt praktiziert wird. Wie viel diese Realität mit der Realität unserer Welt zu tun hat, ist dabei irrelevant.

Wie viel denn nun?

Grundsätzlich ist der Umfang an Regeln unabhängig vom eigentlichen Setting der Welt. Am besten sieht man das mit den verschiedenen Varianten von d20. Es ist eher eine Haltungsfrage des Systems bzw. deren Erschaffer. Bei DSA könnte man das Regelwerk zwar lapidar durch ein schlankeres ersetzten, doch das würde nur kurzfristig etwas helfen. Gerade DSA-Abenteuer, ja ganz Aventurien, baut auf einem eher strengen Regelwerk auf, d.h. dass alles, was Helden tun, nicht überraschend ist, keine zu grossen Auswirkungen hat und engen Bahnen verläuft.

DSA hat den Vorteil, dass die Regeln seit 4.1 konsequent modular aufgebaut sind und in drei Kategorien eingeteilt sind: Grundregeln, optionale Regeln und Expertenregeln. Davon kann man ohne Probleme frei auswählen, die meisten bauen auch nicht aufeinander auf. So kann man den Anteil an Regeln auswählen, die für die eigene Gruppe ideal sind. Wir legen dies beinahe pro Abenteuer fest, meist ist es Entscheidung des Meisters. Dies erlaubt bei DSA eine starke Regulation der Regeln. Denn je nach Stil der Gruppe ist ein anderes Mass an Regeln notwendig. Oft machen mehr Regeln einen Kampf gefährlicher und schneller. Andere Regeln haben beinahe keinen Einfluss auf die Charaktere und sind deshalb überflüssig. Viel entscheidender ist jedoch die Handhabung der Regeln.

Viele Regeln müssen nicht kompliziert sein

Wir wenden verhältnismässig viele Regeln in DSA an. Trotzdem kommt es unterdessen kaum mehr zu Diskussionen oder zu Streitigkeiten deswegen. Auch das Spiel verlangsamt sich dadurch nicht merklich. Dies hat von mir aus gesehen vier Gründe:

  1. Alle Spieler kennen sich gut mit den Regeln aus. Vieles Nachfragen ist nicht mehr nötig und die Regeln werden selbstständig angewendet. Der Meister muss den Spielern nicht auf die Finger schauen und überprüfen, ob die Regeln auch korrekt angewendet werden. Dinge sind natürlich auch bereits zur Routine geworden.
  2. Das letzte Wort hat der Spielleiter. Wenn der Spielleiter in einem bestimmten Ton etwas sagt, dann hat es unumstrittene Gültigkeit, auch wenn ein Spieler sich sehr sicher ist, dass er Recht hat. Oft hat er das im Nachhinein auch. Dies wird aber sowohl von Spieler als auch von Meister akzeptiert.
  3. Der Spielleiter selbst ist tolerant und kennt etwaige Erfahrungswerte. Ist etwas nicht oder nur ungenügend mit Regeln abgedeckt, so kennt der Meister etwaige Richtwerte und entscheidet aus dem Bauch heraus, wie die Situation geregelt wird.
  4. Es tauchen schlicht weniger Situationen auf, in denen Regeln verwendet werden. Dies ist die interessanteste Beobachtung, aber im Vergleich zu früher, wo wir noch nicht so erfahren im Rollenspiel waren, haben wir uns viel stärker an Regeln geklammert. Es gab mehr Kämpfe und weniger Interaktion, die direkt ausgespielt wurde. Unterdessen hat sich das verändert und wir wenden allgemein weniger Regeln an und es wird weniger gewürfelt.

Das langweilige Fazit

Ja, das (vorläufige) Fazit ist in der Tat langweilig, denn es lautet wie immer: Geschmackssache. Grundsätzlich ist es eine Frage des Stils und des Gruppenklimas, wie viel Regeln angewendet werden. Manche werden mit viel Regeln glücklich und gelangen dadurch zur Verzückung, andere möchten gerne ein anarchistisches System ohne Regeln. Solange jedoch alle mit der allgemeinen Regelbasis einverstanden sind, sollte das Spiel in der Hinsicht rund laufen. Grundsätzlich sollte aber folgendes Prinzip nie in Vergessenheit geraten:

Regeln sind nur ein Instrument, das das Rollenspiel ermöglicht. Jedoch nie Ziel des Rollenspiels.

Wer doch Rollenspiel aufgrund der Regeln spielt, der ist wohl in einer Computersimulation besser aufgehoben.